Die Konformität der Perversion
Die Konformität der Perversion
Kirsten Hyldgaard
Es ist eine verbreitete Meinung, dass eine perverse Praktik Gesetze, konventionelle Normen und Sitten untergräbt und dass das perverse Subjekt eine Art Avantgarde gegen eine intolerante heterosexuelle Hegemonie darstellt. Im Folgenden möchte ich erörtern, dass die Perversion wenn überhaupt, einen erhaltenden Faktor darstellt indem es das, was die Psychoanalyse das Fehlen des ‚Anderen’ nennt, insofern verleugnet, dass sie im Gegenteil eine neurotische Struktur ist, welche Raum für die Möglichkeit der Veränderung schafft. Die Frage wird in Verbindung mit einer Diskussion darüber gestellt, wie man einen der berühmtesten Sätze und eine der bekanntesten Thesen Lacans, nämlich „das Begehren, ist das Begehren des Anderen“, auf die Perversion sowie auch auf Neurosen anwendet. Es ist eine besondere Herausforderung, diesen Satz auf die Perversion anzuwenden. In welchem Sinne kann man über Perversion als eine Variation über das Thema, dass das Begehren das Begehren des Anderen ist, denken? In einem weit verbreiteten und moralistischen Verständnis für dieses Thema, besteht das charakteristische Merkmal der Perversion zum einen im Ignorieren des Begehrens des anderen – sei es der Exhibitionist, der Päderast oder der Sadist – und zum anderen im Ignorieren von Normen, Moral und sozialen Regeln. Wenn man diese Diagnose der Perversion akzeptiert, wird die Angelegenheit nur von klinischem und/oder kriminologischem Interesse sein. Das vorausgesetzt, würde die Perversion darin bestehen, was die Phänomenologie eine „Verfallsform“ nennt, d.h. eine Abweichung von einer ursprünglicheren und fundamentaleren Form und Norm.
Es ist in der lacanianischen Psychoanalyse nicht völlig klar, ob die drei grundlegenden Strukturen – Neurose, Perversion und Psychosen – gleich ursprünglich sind, oder ob die neurotische, und um noch genauer zu sein, hysterische Struktur die ursprünglichste ist. Aber klar ist, dass es zwischen Neurose und Perversion grundlegende strukturelle Unterschiede gibt, die nicht auf Fragen der Normen, Moral oder Kriminologie beschränkt werden – charakteristische Merkmale, welche nicht in erster Linie eine Frage der Praxis, danach was das Subjekt sich selbst und anderen tut oder unterlässt zu tun, sind. Wie auch bei der Neurose, wo das Symptom nicht mit der Struktur verwechselt werden sollte, sollte die ‚perverse’ Praktik nicht mit der Struktur identifiziert werden. Ein Paradebeispiel wäre die Homosexualität, welche gleichermaßen Teil einer neurotischen, perversen und psychotischen Struktur sein kann.
Die Definition des menschlichen Daseins als ‚Begehren’ und des Begehrens als ‚Begehren des anderen’ sind ziemlich bekannte philosophische Punkte. Laut Kojève ist das Begehren, unterscheidbar vom tierischen Begehren, nur menschlich wenn das Begehren auf ein nicht natürliches Objekt gerichtet ist, und das einzige Objekt, das kein Element der Gruppe natürlicher Objekte ist, ist das Begehren selbst. Kojèves Beispiel für den Unterschied zwischen tierischem und menschlichem Begehren ist das Begehren zwischen Mann und Frau. Dieses Begehren kann nur als menschlich betrachtet werden, wenn das Begehren sich auf das Begehren des anderen richtet und nicht nur auf den Körper des anderen. Die menschliche Eigenschaft des Begehrens besteht darin, dass der Mensch begehrt von dem anderen begehrt zu werden. Jetzt könnte man denken, dass Prostitution und Pornographie Beispiele für die tierische Eigenschaft in menschlichem Begehren und sexueller Praktik sind. Aber die merkwürdige Tatsache, dass die Simulation ein wesentlicher Teil der Praxis von Prostituierten und Pornodarstellern ist – sie begehren immer energisch und laut und der hartnäckige Mythos von der „glücklichen Hure“: dass die Prostituierte sich prostituiert weil sie es mag – zeigt, dass auch was Prostituierte angeht, die Phantasie über das Begehren des anderen unentbehrlich ist, nicht nur der manipulative Körper des anderen.
Das psychoanalytische Konzept des Begehrens ist dennoch unbewusst. Ein Verlangen und ein Wunsch können (vor)bewusst sein, weshalb eine lacanianische Übersetzung von Kojèves Behauptung oder Axiom lauten würde: das Verlangen/der Wunsch ist das Verlangen/der Wunsch des anderen. Die Originalität Lacans besteht im Begehren und im Fehlen, welches eine Frage des Fehlens des Anderen ist, nicht des Fehlens des Subjekts. Laut Lacan ist die Frage, was damit gemeint ist das Begehren des anderen zu Begehren. Bedeutet es, dass ‚ich’ begehre dass der andere ‚mich’ begehrt, dass ‚ich’ begehre das Objekt des Begehrens des anderen zu sein? Für Lacan ist der andere, der Andere und der Grund des kleinen ‚a’ ist zunächst, dass die Frage gestellt wird: was ist das Objekt des Begehrens des Anderen? Das Begehren wird nicht dadurch bestimmt, dass der andere mich begehrt, sondern durch das Fragen des Wesens des Anderen danach, was der Andere begehrt und was dem Anderen fehlt. Es muss ein Rätsel, eine Frage geben, bevor der besondere andere in die Position des Anderen gesetzt werden kann: was will der Andere, was will der Andere von mir, worauf richtet sich das Begehren des Anderen. Ein Beispiel dafür könnte die bezeichnende Anzahl von Bildern so genannter narzisstischer Frauen in Literatur und Malerei sein: Frauen die Chaiselongues schmücken wo die einzigen Objekte, die sie zu begehren scheinen, Süßigkeiten sind. Dieses wiederkehrende Bild von der Frau ist dazu geeignet, das Begehren des anderen zu erregen und nicht notwendigerweise Frauen, welche aktiv den Mann zum Objekt der Begierde machen. Die letztere wird gewöhnlich als Vamp bezeichnet und abgesehen von den Bildern auf der pornographischen Retina, wird der Vamp schnell als vulgär und abstoßend betrachtet, einfach weil sie nicht die grundlegende und berühmte Frage Freuds, „Was will eine Frau?“, aufwirft. Sie kann nicht auf die Ebene des personifizierten Rätsels, Mysteriums gehoben werden und sie kann nicht an die Stelle des Anderen gesetzt werden. Um Begehren zu erregen, muss die Möglichkeit bestehen, die Frage danach zu stellen, was er oder sie begehren.
Nun ist das alles zweifellos sehr plausibel was die verbreitete Vorstellung und das Ideal einer liebevollen und herzlichen Beziehung angeht. Eine Vorstellung des ‚Kicks’, bestehend in der Erregung des Begehrens des Anderen und in der Bemühung, die Wünsche des Anderen durch das Darstellen all dessen, was der Andere sich möglicherweise wünschen könnte, zu erraten und zu erfüllen. Doch dies ist kaum ein zufrieden stellender Horizont für eine Analyse dessen, was in normalen neurotischen Beziehungen geschieht und besonders nicht was die Frage der Perversion und des perversen Paares angeht.
In der Perversion wirft das Begehren des anderen keine Frage auf, genauer gesagt, darf das Begehren des anderen keine solche Frage stellen. Vielmehr ist der andere eine Marionette in dieser Szenerie, welche eine unumgängliche Notwendigkeit ist damit die Befriedigung des perversen Subjekts erreicht wird. Wenn der andere seine oder ihre Rolle vergisst oder nicht in der Lage ist, seine oder ihre Rolle in der Phantasie des Subjekts über den anderen zu spielen – zum Beispiel die eines schäumenden gierigen Vamps oder im Gegenteil, die einer unschuldigen, asexuellen Lolita die von dem Perversen verdorben werden kann – dann bricht die Szene oder das Setting zusammen. Dies ist einer der Gründe, warum Perverse oft dazu gezwungen sind, die Professionellen, d.h. die Prostituierten aufzusuchen da diese dafür bezahlt werden, dass das Begehren nicht als eine Frage auftaucht. Das ist wahrscheinlich die Definition von und Vorbedingung für Professionalismus überhaupt.
Das die Prostituierte, oder allgemein der andere eine Marionette in der Phantasie des perversen Subjekts ist, kann erklären warum die Frage – wie die offensichtliche Simulation der Prostituierten eine Wirkung haben kann – naiv und davon abgesehen irrelevant ist. In der perversen Szenerie dominiert die scheinbar naive Illusion. Authentizität ist weder ein Thema noch ein Problem in der Perversion. Nur der Neurotiker sorgt sich darum, ob das Begehren und die Manifestation der Lust des Anderen, also des Liebhabers, authentisch sind. Das Begehren des Anderen in einer neurotischen Struktur ist niemals Anlass zu Wissen sondern nur Anlass zu Zweifel und Vermutung.
Im Gegensatz zum Neurotiker, weiß der Perverse was er begehrt. Die Beziehung des Perversen zum Begehren des anderen muss eine Beziehung des Wissens, nicht der Frage und nicht des fehlenden Wissens, sein. Der Masochist muss in der Lage sein, die Situation zu kontrollieren. Er muss die Szenerie entweder explizit durch detaillierte Beschreibungen von Kleidung, Richtung usw. oder indem er den anderen manipuliert ihn oder sie zu erniedrigen, instruieren. Der Höhepunkt des Masochisten ist erreicht, wenn er dem anderen glauben machen kann, dass es ihr Begehren ist ihn zu treten, zu schlagen und zu erniedrigen – wenn er sie glauben machen kann, sie sei keine Marionette an einem Faden sondern eine wahre Herrin und sie dazu bringt entsprechend zu handeln. Aus diesem Grund können Sadisten und Masochisten kein ideales Paar bilden. Das der Agent beider Teile Wissen ist, ist das Stichwort Kontrolle. Der andere darf niemals der Andere, niemals der Anlass ängstlichen Zweifels, sein.
Der Sadist muss herausfinden was der andere begehrt um in der Lage zu sein, die Schwachstellen zu treffen, das Begehren des anderen zu erniedrigen. Der Sadist kann das Begehren des anderen missachten, indem er in der Lage ist die Frage, was der andere begehrt zu beantworten. Er kann das Begehren des anderen erniedrigen, indem er z.B. großes Interesse vortäuscht und scheinbar liebevolle Aufmerksamkeit für das Begehren des anderen zeigt und somit herausfindet in welche Richtung es sich wendet und einstellt. Dann kann er mit Präzision zuschlagen und erniedrigen und sich weigern die Bedürfnisse des anderen zu befriedigen.
Der Ruhm einer der sehr unangenehmen Szenen in David Lynchs Wild at Heart ist berechtigt. Indem er Lula (Laura Dern) bedroht, bringt Bobby Peru (Willem Dafoe) sie dazu „fick mich“ zu sagen. Die Szene kann als ein Beispiel dafür dienen, dass es bei Sadismus nicht darum geht, den anderen zu zwingen etwas gegen seinen oder ihren Willen zu tun (Vergewaltigung, Zufügen von Schmerzen oder den anderen zwingen Begehren zu simulieren). Die Szene spielt mehr als deutlich darauf an, dass Lula tatsächlich begehrt gefickt zu werden als sie die vorgesagten Worte flüstert. Der Sadismus besteht darin, das Bobby Peru mit einem obszönen Grinsen zurück springt und sagt: „Eines Tages, Schatz, werde ich das. Aber ich muss gehen. Singe – weine nicht.“ Damit missachtet er das Begehren des anderen nicht indem er den anderen zu etwas zwingt das er nicht tun will, sondern im Gegenteil indem er das Begehren des anderen hervorruft, kann er sich danach entsprechend weigern das Verlangen des anderen zu befriedigen. Was die Szene zeigt, ist eine kultivierte Version des uralten Witzes über den Sadisten, der sich weigert das Verlangen des Masochisten, erniedrigt zu werden, zu befriedigen. Der Sadist triumphiert, oder besser freut sich hämisch, über den Mangel des anderen, das Begehren des anderen. Er weiß was dem anderen fehlt und noch wichtiger, ihm fehlt überhaupt nichts, er begehrt nicht. Er „muss gehen“. Etwas zwingt ihn „leider“ die Szene zu verlassen. Nicht ein Mangel an Wissen und Verlangen, dass sich auf den Anderen richtet, sondern sein Wissen ist der Agent der Praxis des Perversen. Kurz gefasst: Der andere ist nicht der Andere für den Perversen.
Ein Zitat aus Nabokovs Lolita könnte das Thema zusammenfassen: „Ich entdeckte eine nie versiegende Quelle robusten Vergnügens darin, mit den Psychiatern zu spielen: sie listig zum Narren zu halten; sie niemals wissen zu lassen, dass man all die Tricks der Branche kennt; komplizierte Träume im Stil reiner Klassiker für sie zu erfinden (welche sie, die Traum-Erpresser, dazu bringen zu träumen und schreiend aufzuwachen); sie mit falschen „Schlüsselerlebnissen“ zu ärgern; und ihnen niemals auch nur den geringsten kurzen Blick auf deine wirkliche sexuelle Zwangslage zu gewähren. Indem ich eine Schwester bestach, bekam ich Zugang zu einigen Akten und entdeckte, mit Freude, Karteikarten welche mich als ‚potentiell homosexuell’ und ‚völlig impotent’ bezeichneten.“
(Fortsetzung folgt…)
Kirsten Hyldgaard
Es ist eine verbreitete Meinung, dass eine perverse Praktik Gesetze, konventionelle Normen und Sitten untergräbt und dass das perverse Subjekt eine Art Avantgarde gegen eine intolerante heterosexuelle Hegemonie darstellt. Im Folgenden möchte ich erörtern, dass die Perversion wenn überhaupt, einen erhaltenden Faktor darstellt indem es das, was die Psychoanalyse das Fehlen des ‚Anderen’ nennt, insofern verleugnet, dass sie im Gegenteil eine neurotische Struktur ist, welche Raum für die Möglichkeit der Veränderung schafft. Die Frage wird in Verbindung mit einer Diskussion darüber gestellt, wie man einen der berühmtesten Sätze und eine der bekanntesten Thesen Lacans, nämlich „das Begehren, ist das Begehren des Anderen“, auf die Perversion sowie auch auf Neurosen anwendet. Es ist eine besondere Herausforderung, diesen Satz auf die Perversion anzuwenden. In welchem Sinne kann man über Perversion als eine Variation über das Thema, dass das Begehren das Begehren des Anderen ist, denken? In einem weit verbreiteten und moralistischen Verständnis für dieses Thema, besteht das charakteristische Merkmal der Perversion zum einen im Ignorieren des Begehrens des anderen – sei es der Exhibitionist, der Päderast oder der Sadist – und zum anderen im Ignorieren von Normen, Moral und sozialen Regeln. Wenn man diese Diagnose der Perversion akzeptiert, wird die Angelegenheit nur von klinischem und/oder kriminologischem Interesse sein. Das vorausgesetzt, würde die Perversion darin bestehen, was die Phänomenologie eine „Verfallsform“ nennt, d.h. eine Abweichung von einer ursprünglicheren und fundamentaleren Form und Norm.
Es ist in der lacanianischen Psychoanalyse nicht völlig klar, ob die drei grundlegenden Strukturen – Neurose, Perversion und Psychosen – gleich ursprünglich sind, oder ob die neurotische, und um noch genauer zu sein, hysterische Struktur die ursprünglichste ist. Aber klar ist, dass es zwischen Neurose und Perversion grundlegende strukturelle Unterschiede gibt, die nicht auf Fragen der Normen, Moral oder Kriminologie beschränkt werden – charakteristische Merkmale, welche nicht in erster Linie eine Frage der Praxis, danach was das Subjekt sich selbst und anderen tut oder unterlässt zu tun, sind. Wie auch bei der Neurose, wo das Symptom nicht mit der Struktur verwechselt werden sollte, sollte die ‚perverse’ Praktik nicht mit der Struktur identifiziert werden. Ein Paradebeispiel wäre die Homosexualität, welche gleichermaßen Teil einer neurotischen, perversen und psychotischen Struktur sein kann.
Die Definition des menschlichen Daseins als ‚Begehren’ und des Begehrens als ‚Begehren des anderen’ sind ziemlich bekannte philosophische Punkte. Laut Kojève ist das Begehren, unterscheidbar vom tierischen Begehren, nur menschlich wenn das Begehren auf ein nicht natürliches Objekt gerichtet ist, und das einzige Objekt, das kein Element der Gruppe natürlicher Objekte ist, ist das Begehren selbst. Kojèves Beispiel für den Unterschied zwischen tierischem und menschlichem Begehren ist das Begehren zwischen Mann und Frau. Dieses Begehren kann nur als menschlich betrachtet werden, wenn das Begehren sich auf das Begehren des anderen richtet und nicht nur auf den Körper des anderen. Die menschliche Eigenschaft des Begehrens besteht darin, dass der Mensch begehrt von dem anderen begehrt zu werden. Jetzt könnte man denken, dass Prostitution und Pornographie Beispiele für die tierische Eigenschaft in menschlichem Begehren und sexueller Praktik sind. Aber die merkwürdige Tatsache, dass die Simulation ein wesentlicher Teil der Praxis von Prostituierten und Pornodarstellern ist – sie begehren immer energisch und laut und der hartnäckige Mythos von der „glücklichen Hure“: dass die Prostituierte sich prostituiert weil sie es mag – zeigt, dass auch was Prostituierte angeht, die Phantasie über das Begehren des anderen unentbehrlich ist, nicht nur der manipulative Körper des anderen.
Das psychoanalytische Konzept des Begehrens ist dennoch unbewusst. Ein Verlangen und ein Wunsch können (vor)bewusst sein, weshalb eine lacanianische Übersetzung von Kojèves Behauptung oder Axiom lauten würde: das Verlangen/der Wunsch ist das Verlangen/der Wunsch des anderen. Die Originalität Lacans besteht im Begehren und im Fehlen, welches eine Frage des Fehlens des Anderen ist, nicht des Fehlens des Subjekts. Laut Lacan ist die Frage, was damit gemeint ist das Begehren des anderen zu Begehren. Bedeutet es, dass ‚ich’ begehre dass der andere ‚mich’ begehrt, dass ‚ich’ begehre das Objekt des Begehrens des anderen zu sein? Für Lacan ist der andere, der Andere und der Grund des kleinen ‚a’ ist zunächst, dass die Frage gestellt wird: was ist das Objekt des Begehrens des Anderen? Das Begehren wird nicht dadurch bestimmt, dass der andere mich begehrt, sondern durch das Fragen des Wesens des Anderen danach, was der Andere begehrt und was dem Anderen fehlt. Es muss ein Rätsel, eine Frage geben, bevor der besondere andere in die Position des Anderen gesetzt werden kann: was will der Andere, was will der Andere von mir, worauf richtet sich das Begehren des Anderen. Ein Beispiel dafür könnte die bezeichnende Anzahl von Bildern so genannter narzisstischer Frauen in Literatur und Malerei sein: Frauen die Chaiselongues schmücken wo die einzigen Objekte, die sie zu begehren scheinen, Süßigkeiten sind. Dieses wiederkehrende Bild von der Frau ist dazu geeignet, das Begehren des anderen zu erregen und nicht notwendigerweise Frauen, welche aktiv den Mann zum Objekt der Begierde machen. Die letztere wird gewöhnlich als Vamp bezeichnet und abgesehen von den Bildern auf der pornographischen Retina, wird der Vamp schnell als vulgär und abstoßend betrachtet, einfach weil sie nicht die grundlegende und berühmte Frage Freuds, „Was will eine Frau?“, aufwirft. Sie kann nicht auf die Ebene des personifizierten Rätsels, Mysteriums gehoben werden und sie kann nicht an die Stelle des Anderen gesetzt werden. Um Begehren zu erregen, muss die Möglichkeit bestehen, die Frage danach zu stellen, was er oder sie begehren.
Nun ist das alles zweifellos sehr plausibel was die verbreitete Vorstellung und das Ideal einer liebevollen und herzlichen Beziehung angeht. Eine Vorstellung des ‚Kicks’, bestehend in der Erregung des Begehrens des Anderen und in der Bemühung, die Wünsche des Anderen durch das Darstellen all dessen, was der Andere sich möglicherweise wünschen könnte, zu erraten und zu erfüllen. Doch dies ist kaum ein zufrieden stellender Horizont für eine Analyse dessen, was in normalen neurotischen Beziehungen geschieht und besonders nicht was die Frage der Perversion und des perversen Paares angeht.
In der Perversion wirft das Begehren des anderen keine Frage auf, genauer gesagt, darf das Begehren des anderen keine solche Frage stellen. Vielmehr ist der andere eine Marionette in dieser Szenerie, welche eine unumgängliche Notwendigkeit ist damit die Befriedigung des perversen Subjekts erreicht wird. Wenn der andere seine oder ihre Rolle vergisst oder nicht in der Lage ist, seine oder ihre Rolle in der Phantasie des Subjekts über den anderen zu spielen – zum Beispiel die eines schäumenden gierigen Vamps oder im Gegenteil, die einer unschuldigen, asexuellen Lolita die von dem Perversen verdorben werden kann – dann bricht die Szene oder das Setting zusammen. Dies ist einer der Gründe, warum Perverse oft dazu gezwungen sind, die Professionellen, d.h. die Prostituierten aufzusuchen da diese dafür bezahlt werden, dass das Begehren nicht als eine Frage auftaucht. Das ist wahrscheinlich die Definition von und Vorbedingung für Professionalismus überhaupt.
Das die Prostituierte, oder allgemein der andere eine Marionette in der Phantasie des perversen Subjekts ist, kann erklären warum die Frage – wie die offensichtliche Simulation der Prostituierten eine Wirkung haben kann – naiv und davon abgesehen irrelevant ist. In der perversen Szenerie dominiert die scheinbar naive Illusion. Authentizität ist weder ein Thema noch ein Problem in der Perversion. Nur der Neurotiker sorgt sich darum, ob das Begehren und die Manifestation der Lust des Anderen, also des Liebhabers, authentisch sind. Das Begehren des Anderen in einer neurotischen Struktur ist niemals Anlass zu Wissen sondern nur Anlass zu Zweifel und Vermutung.
Im Gegensatz zum Neurotiker, weiß der Perverse was er begehrt. Die Beziehung des Perversen zum Begehren des anderen muss eine Beziehung des Wissens, nicht der Frage und nicht des fehlenden Wissens, sein. Der Masochist muss in der Lage sein, die Situation zu kontrollieren. Er muss die Szenerie entweder explizit durch detaillierte Beschreibungen von Kleidung, Richtung usw. oder indem er den anderen manipuliert ihn oder sie zu erniedrigen, instruieren. Der Höhepunkt des Masochisten ist erreicht, wenn er dem anderen glauben machen kann, dass es ihr Begehren ist ihn zu treten, zu schlagen und zu erniedrigen – wenn er sie glauben machen kann, sie sei keine Marionette an einem Faden sondern eine wahre Herrin und sie dazu bringt entsprechend zu handeln. Aus diesem Grund können Sadisten und Masochisten kein ideales Paar bilden. Das der Agent beider Teile Wissen ist, ist das Stichwort Kontrolle. Der andere darf niemals der Andere, niemals der Anlass ängstlichen Zweifels, sein.
Der Sadist muss herausfinden was der andere begehrt um in der Lage zu sein, die Schwachstellen zu treffen, das Begehren des anderen zu erniedrigen. Der Sadist kann das Begehren des anderen missachten, indem er in der Lage ist die Frage, was der andere begehrt zu beantworten. Er kann das Begehren des anderen erniedrigen, indem er z.B. großes Interesse vortäuscht und scheinbar liebevolle Aufmerksamkeit für das Begehren des anderen zeigt und somit herausfindet in welche Richtung es sich wendet und einstellt. Dann kann er mit Präzision zuschlagen und erniedrigen und sich weigern die Bedürfnisse des anderen zu befriedigen.
Der Ruhm einer der sehr unangenehmen Szenen in David Lynchs Wild at Heart ist berechtigt. Indem er Lula (Laura Dern) bedroht, bringt Bobby Peru (Willem Dafoe) sie dazu „fick mich“ zu sagen. Die Szene kann als ein Beispiel dafür dienen, dass es bei Sadismus nicht darum geht, den anderen zu zwingen etwas gegen seinen oder ihren Willen zu tun (Vergewaltigung, Zufügen von Schmerzen oder den anderen zwingen Begehren zu simulieren). Die Szene spielt mehr als deutlich darauf an, dass Lula tatsächlich begehrt gefickt zu werden als sie die vorgesagten Worte flüstert. Der Sadismus besteht darin, das Bobby Peru mit einem obszönen Grinsen zurück springt und sagt: „Eines Tages, Schatz, werde ich das. Aber ich muss gehen. Singe – weine nicht.“ Damit missachtet er das Begehren des anderen nicht indem er den anderen zu etwas zwingt das er nicht tun will, sondern im Gegenteil indem er das Begehren des anderen hervorruft, kann er sich danach entsprechend weigern das Verlangen des anderen zu befriedigen. Was die Szene zeigt, ist eine kultivierte Version des uralten Witzes über den Sadisten, der sich weigert das Verlangen des Masochisten, erniedrigt zu werden, zu befriedigen. Der Sadist triumphiert, oder besser freut sich hämisch, über den Mangel des anderen, das Begehren des anderen. Er weiß was dem anderen fehlt und noch wichtiger, ihm fehlt überhaupt nichts, er begehrt nicht. Er „muss gehen“. Etwas zwingt ihn „leider“ die Szene zu verlassen. Nicht ein Mangel an Wissen und Verlangen, dass sich auf den Anderen richtet, sondern sein Wissen ist der Agent der Praxis des Perversen. Kurz gefasst: Der andere ist nicht der Andere für den Perversen.
Ein Zitat aus Nabokovs Lolita könnte das Thema zusammenfassen: „Ich entdeckte eine nie versiegende Quelle robusten Vergnügens darin, mit den Psychiatern zu spielen: sie listig zum Narren zu halten; sie niemals wissen zu lassen, dass man all die Tricks der Branche kennt; komplizierte Träume im Stil reiner Klassiker für sie zu erfinden (welche sie, die Traum-Erpresser, dazu bringen zu träumen und schreiend aufzuwachen); sie mit falschen „Schlüsselerlebnissen“ zu ärgern; und ihnen niemals auch nur den geringsten kurzen Blick auf deine wirkliche sexuelle Zwangslage zu gewähren. Indem ich eine Schwester bestach, bekam ich Zugang zu einigen Akten und entdeckte, mit Freude, Karteikarten welche mich als ‚potentiell homosexuell’ und ‚völlig impotent’ bezeichneten.“
(Fortsetzung folgt…)
tüpfelhyäne - 2. Aug, 22:43
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